In der Welt der Fotografie begegnen uns zwei Arten von Balance: die formale und die informelle. Das Verständnis beider – und die Fähigkeit, sie anzuwenden – ist ein wesentlicher Bestandteil der Bildgestaltung. Tauchen wir tiefer in dieses Thema ein.
Das Konzept der Balance existiert schon lange vor der Erfindung der Fotografie und ist ein integraler Bestandteil vieler Gemälde aus der Renaissance. Es ist jedoch ein etwas schwer fassbares Konzept, da es auf der Idee des „visuellen Gewichts“ basiert, was an sich schon eine Metapher ist. Die Idee dahinter ist, dass verschiedene Elemente in einer Szene ein unterschiedliches visuelles Gewicht haben. So haben beispielsweise Menschen, farbige Objekte, kontrastreiche Elemente und ungewöhnliche Motive ein höheres visuelles Gewicht. Auf der anderen Seite haben große Flächen wie Himmel, Wasser oder Boden ein geringeres visuelles Gewicht. Die beste Methode, dieses Konzept zu verstehen, ist, es in der Praxis zu erleben und damit zu experimentieren.
Formale oder symmetrische Balance
Formale Balance bedeutet Symmetrie. Hier wird das Bild entweder vertikal oder horizontal in zwei Hälften geteilt, wobei beide Seiten das gleiche visuelle Gewicht tragen. Betrachten wir dieses Porträt:
Es ist im Wesentlichen perfekt symmetrisch entlang der vertikalen Achse. Beide Bildhälften weisen dasselbe visuelle Gewicht auf, und nichts lenkt unseren Blick auf die eine oder andere Seite.
Hier ist ein weiteres Porträt, bei dem das Modell ebenfalls zentral platziert ist und somit eine nahezu symmetrische Komposition entsteht:
Und noch ein Beispiel:
Wie wir sehen, kann die formale Balance in Porträtaufnahmen sehr gut funktionieren. Sie vermittelt ein Gefühl von Ruhe, Seriosität und Stabilität. In der folgenden Aufnahme einer sowjetischen Statue in Transnistrien habe ich bewusst eine formale Balance gewählt, um den Eindruck zu erwecken, dass sie seit Jahren dort steht – was sie tatsächlich tut:
Das Konzept der formalen Balance ist relativ einfach: Platziere das Hauptmotiv im Zentrum. Nun wollen wir uns dem komplexeren Konzept der informellen Balance widmen.
Informelle oder asymmetrische Balance
Bei der informellen oder asymmetrischen Balance gleicht man das Bild aus, indem man Objekte mit ähnlichem visuellen Gewicht gegenüberstellt, anstatt alles symmetrisch auszurichten. Sehen wir uns einige Beispiele an.
Auf diesem Bild hat die Person genug visuelles Gewicht, um die Berge und Wolken auszugleichen. Es vermittelt immer noch ein Gefühl für die Größe, aber das Bild wirkt nicht leer. Menschen haben ein starkes visuelles Gewicht und können oft viel ausgleichen.
Hier ist eine ähnliche Idee. Der Skifahrer Will ist relativ klein im Bild, balanciert aber trotzdem den riesigen Berg im Hintergrund.
Betrachten wir dies einmal umgekehrt. Hier ist eine unausgewogene Aufnahme. Das Schloss ist zwar interessant, aber sonst passiert nicht viel im Bild.
Kurz darauf fuhr ein Boot auf dem Fluss vorbei. Jetzt wird es interessanter. Das kleine Boot reicht aus, um die riesige alte Burg auszubalancieren.
Man kann auch ein einzelnes Objekt mit hohem visuellem Gewicht mit vielen Objekten mit geringem visuellem Gewicht ausgleichen. Hier balancieren die Sterne am Himmel die großen Joshua-Bäume aus. Die kleineren Bäume gleichen auch den großen Baum aus.
Das wohl beste Beispiel für asymmetrische Balance stammt nicht aus der Fotografie, sondern aus der Kunst. Michelangelos „Die Erschaffung Adams“ ist wunderbar ausbalanciert: Adam und die Erde haben dasselbe visuelle Gewicht wie Gott und der Engelchor.
Unausgewogene oder dynamische Bilder
Es ist wichtig zu verstehen, dass Balance nur ein Werkzeug in der Kompositionskiste ist. Es gibt noch andere Elemente wie Führungslinien, begrenzte Farbpaletten und viele andere. Das bedeutet, dass nicht jedes Foto ausgeglichen sein muss. Unausgewogene Bilder erzeugen oft Spannung, Dynamik und ein Gefühl von Aktivität.
Betrachten wir dieses Bild: Will springt in einen dunklen Abgrund. Dies verleiht seinem Tun ein Gefühl von Geschwindigkeit und Dramatik.
Oder nehmen wir diese Aufnahme des Santa Monica Piers. Halten Himmel und Meer den Pier im Gleichgewicht? Vielleicht, aber ich würde sagen, wahrscheinlich nicht. Stattdessen erhalten wir eine dynamische Aufnahme des Piers, der bei Sonnenuntergang ins Meer hinausragt.
Für mich hängt es davon ab, welche Botschaft Sie vermitteln möchten. Wenn Sie Stabilität und Solidität wünschen, ist ein formal ausgewogenes Bild eine gute Wahl. Wenn Sie etwas Dramatischeres suchen, das dennoch ausgewogen wirkt, probieren Sie asymmetrische Kompositionen aus. Und wenn Sie etwas Aufregendes und Dynamisches wünschen, wählen Sie ein unausgewogenes Bild.
Experimentieren Sie: Welche Komposition Sie auch wählen, sie funktioniert vielleicht nicht, aber vielleicht entdecken Sie dabei etwas Wundervolles! Und Sie lernen auf jeden Fall etwas dabei. Es gibt hier nur sehr wenige richtige oder falsche Antworten.