Anfang dieses Jahres, nach fast einem Jahrzehnt der Diskussion, hat das Europäische Parlament verbindliche Pläne für einen einheitlichen Ladestandard in ganz Europa beschlossen. Aber was bedeutet das genau? Die Antwort ist komplex, und die Auswirkungen könnten weit über Europas Grenzen hinausreichen.
Was genau plant die EU?
Die Berichterstattung zu diesem Thema war teils widersprüchlich. So wurde beispielsweise in einem Artikel von The Verge zunächst behauptet, dass sich die EU nicht gegen Apples Lightning-Anschluss richtet, sondern lediglich USB-C-Wandladegeräte vorschreiben möchte. Ein solches Produkt stellt Apple ja bereits her. Später korrigierte The Verge diesen Artikel, um deutlich zu machen, dass die Sachlage doch nicht so eindeutig ist.
Die konkreten Anforderungen der EU sind noch nicht bekannt. Es ist möglich, dass Apple den Lightning-Anschluss seiner in der EU verkauften iPhones durch USB-C ersetzen muss. Apple selbst ist offensichtlich besorgt über diese Entwicklung.
Klar ist, dass der Vorschlag mit überwältigender Mehrheit angenommen wurde und letztendlich vorschreiben wird, dass alle Geräte, die im 27-Länder-Block der EU verkauft werden, dieselbe Ladetechnologie nutzen müssen. Sollte dies umgesetzt werden, wird das Auswirkungen auf alle haben, nicht nur auf die Einwohner der EU-Mitgliedstaaten. Wir erklären, warum.
Die Problematik von Kabeln und Kommissionen
Bevor wir uns näher mit den Plänen befassen, sind einige Hintergrundinformationen zu den jüngsten Vorschlägen der Europäischen Kommission wichtig.
Dies ist nicht das erste Mal, dass die EU die mobile Ladetechnologie ins Visier nimmt. Für die Europäische Kommission war die Forderung nach einem einheitlichen Standard in der EU in den letzten zehn Jahren ein hartnäckiges Anliegen.
Die Thematik kam erstmals 2011 zur Sprache, als klassische Mobiltelefone noch weit verbreitet waren. Damals war es üblich, dass Hersteller eigene, inkompatible Ladegeräte für ihre Telefone verwendeten.
Ein Ladegerät von Sony Ericsson funktionierte beispielsweise nicht mit einem Nokia-Handy. Ebenso war ein Stecker von Alcatel nicht mit einem Telefon von Samsung kompatibel.
Das führte zu einigen Problemen. Erstens war es für die Verbraucher sehr umständlich, mit einer (zeitweise) Vielzahl von 30 verschiedenen Ladestandards umzugehen. Zweitens entstand dadurch eine enorme Menge an Elektroschrott. Jedes Mal, wenn man das Telefon wechselte, war das alte Ladegerät unbrauchbar und landete höchstwahrscheinlich im Müll.
Die rasche Verbreitung von Smartphones löste dieses Problem weitgehend. Sie verdrängten klassische Mobiltelefone für die meisten Verbraucher und setzten auf den Micro-USB-Standard. Bis 2013 hatten 90 Prozent aller Telefonanbieter auf Micro-USB umgestellt.
Der einzige „Ausreißer“ war natürlich Apple, das seit jeher eigene Standards bevorzugt. iPhones und andere Geräte nutzten zuerst das 30-Pin-Format, bevor Apple 2012 auf den kleineren Lightning-Anschluss umstieg.
2018 initiierte die damalige EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager eine Studie über den Stand der Ladestandards, um konkrete, europaweite Regelungen zu entwickeln.
Was hat die Kommission also dazu bewogen, das Thema erneut anzugehen?
Nun, einige Geräte verwenden immer noch den veralteten Micro-USB-Standard, während andere auf USB-C umsteigen. Und natürlich ist Lightning bei Apple-Produkten weiterhin sehr verbreitet.
Im Bereich USB-C gibt es zudem eine oft unbekannte Vielfalt an Variationen. Einige Telefone unterstützen Schnellladen, andere nicht. Einige Kabel unterstützen USB-C PD, andere nicht. Und ist es nun USB-C oder Thunderbolt?
Die Ziele der EU
Das Europäische Parlament hat die Europäische Kommission, die Exekutivbehörde der EU, aufgefordert, bis Juli 2020 in dieser Angelegenheit tätig zu werden. Die Funkanlagenrichtlinie aus dem Jahr 2014 soll entsprechend angepasst werden.
Sollte die Europäische Kommission keinen soliden Plan vorlegen, hat das Parlament die Kommission angewiesen, ein eigenes Gesetz auszuarbeiten, über das es dann abstimmen wird.
Die Vorschläge des Europäischen Parlaments schreiben keine bestimmte Technologie vor und befürworten weder USB-C noch Lightning explizit. Da USB-C jedoch der aktuelle Standard für Strom- und Datenübertragung ist und von vielen Herstellern verwendet wird, ist es ziemlich offensichtlich, welche Richtung die Entwicklung einschlagen wird.
Natürlich wird sich der einheitliche Ladestandard im Laufe der Jahre verändern. Das Parlament forderte ausdrücklich Maßnahmen, die eine regelmäßige Überprüfung der Vorschriften ermöglichen, um sicherzustellen, dass die EU mit den technologischen Fortschritten Schritt hält.
Darüber hinaus wird die EU in den nächsten Jahren Maßnahmen ergreifen, um die Interoperabilität von drahtlosen Ladesystemen sicherzustellen. Dieser Antrag zielt nicht auf bestehende Probleme ab – das kabellose Laden wurde im Laufe der Zeit immer standardisierter –, sondern dient eher als Schutzmechanismus für die Zukunft. Das Europäische Parlament ist besorgt über mögliche zukünftige Abweichungen.
Auch die Möglichkeit, dass Telefonhersteller Ladegeräte und Kabel nicht mehr standardmäßig mit ihren Geräten mitliefern, ist ein Thema, das die EU untersuchen möchte. Ziel ist es, den von der Mobilfunkindustrie produzierten Elektroschrott zu reduzieren. Wer bereits ein Telefon mit funktionierendem Ladegerät besitzt, braucht nicht unbedingt ein weiteres.
Der Vorschlag berücksichtigt auch das Ende des Lebenszyklus von Ladegeräten und soll es den Menschen erleichtern, ihre defekten oder veralteten Kabel und Stecker zu recyceln.
Was bedeutet das für den Rest der Welt?
Die EU-Gesetzgebung ist nur für ihre Mitgliedstaaten und die assoziierten Länder des Europäischen Wirtschaftsraums verbindlich. Als Block ist die EU jedoch wohlhabend und groß genug, um auf Länder weit über ihre Grenzen hinaus Einfluss zu nehmen. Sie umfasst einige der weltweit wichtigsten Märkte für Unterhaltungselektronik, darunter Frankreich, Deutschland, Spanien und Italien.
In den meisten Fällen ist es für Telefonhersteller sinnvoll, sich an den noch unveröffentlichten EU-Standard zu halten, damit sie ihre Produkte weltweit verkaufen können – auch in Märkten, in denen dies nicht vorgeschrieben ist.
Es ist jedoch auch möglich, dass Hersteller dem Beispiel folgen und EU-spezifische Versionen ihrer Telefone entwickeln. Apple produziert seit einigen Jahren eine Dual-SIM-Version des iPhones in China und Hongkong. Samsung hat auch exotischere Geräte auf den Markt gebracht, wie das Galaxy J2 DTV, speziell für den asiatischen Markt.
Die Zeit wird es zeigen, aber diese Vorschläge könnten umstritten sein. Obwohl die Fragmentierung im USB-C-Bereich ein Problem darstellt, gibt es Gerüchte, dass Apple bei seinen Smartphones von Lightning abweichen könnte.
Wir haben eine Veränderung in Cupertino beobachtet. Das weltweit größte Unternehmen für Unterhaltungselektronik verwendet jetzt USB-C zum Aufladen seiner neuen MacBooks und iPad Pro-Geräte.
Welchen Ladestandard die EU letztendlich fordern wird und wie Apple darauf reagieren wird, ist noch unklar. Trotz allem, was online zu lesen ist, bleibt der Lightning-Anschluss der iPhones ein mögliches Ziel der EU-Regulierung.