Virtuell vergessen: Nintendos Virtual Boy, 25 Jahre später

Im Jahr 1995 brachte Nintendo eine ungewöhnliche, stereoskopische Spielkonsole namens Virtual Boy auf den Markt. Sie nutzte den damaligen Hype um virtuelle Realität, konnte aber die Erwartungen nicht erfüllen. Hier wird erläutert, was den Virtual Boy so besonders machte – und warum er letztlich scheiterte.

Eine missverstandene Innovation

Der Virtual Boy kam am 21. Juli 1995 in Japan und am 14. August desselben Jahres in den USA auf den Markt. Mit einem Einführungspreis von 179,95 US-Dollar (was heute etwa 303 US-Dollar entspräche) war er deutlich teurer als der Game Boy oder das Super NES.

Aufgrund seines Namens und des Headset-ähnlichen Designs könnte man leicht annehmen, dass es sich um einen echten Versuch von Nintendo handelte, eine Virtual-Reality-Konsole zu entwickeln. Der Virtual Boy war aber keine VR-Konsole, sondern wurde lediglich so vermarktet. Diese Strategie weckte Erwartungen, die zu der Zeit viel zu hoch waren.

Tatsächlich handelte es sich beim Virtual Boy eher um einen verbesserten Game Boy mit einer stereoskopischen Anzeige, die eine visuelle Tiefenwirkung erzeugen konnte. Seine unkonventionelle Form erforderte einen sperrigen Tischständer. Im Gegensatz zu echten Virtual-Reality-Geräten, die den Eindruck vermitteln, in einem virtuellen Raum präsent zu sein, bot der Virtual Boy kein Headset zum Aufsetzen, keine Bewegungsverfolgung oder Handsteuerung.

Er war semi-portabel, da er standardmäßig mit Batterien betrieben wurde. Er benötigte sechs AA-Batterien, aber ein Netzteil war ebenfalls erhältlich. Aus diesem Grund wurde er mit einer relativ stromsparenden CPU ausgestattet, die nicht in der Lage war, eine 3D-Polygon-Welt zu erzeugen, wie man sie erwarten würde.

Die Spielebibliothek des Virtual Boy setzte stattdessen auf traditionelle 2D-Spiele im Konsolenstil mit 3D-Effekten, die durch das Layering und die stereoskopische Fähigkeit des Systems entstanden. Die meisten Spiele konnten auch ohne den stereoskopischen Effekt gespielt werden.

Ein Experiment als Notlösung

Die Entstehungsgeschichte des Virtual Boy ist komplex und interessant. Alles begann mit der Erfindung eines relativ hochauflösenden, tragbaren Displays, das von Reflection Technology in Massachusetts entwickelt wurde. Das Display nutzte eine einzelne Reihe roter LEDs und einen vibrierenden Spiegel, um die Illusion einer größeren Anzeige zu erzeugen.

Reflection stellte das Display Herstellern von Spielzeug und Videospielen vor. Die Technologie weckte schließlich das Interesse des Nintendo-Designers Gunpei Yokoi. Yokoi hatte zuvor mit dem Game Boy, der Game & Watch-Serie, Plastikspielzeug und Puzzles Erfolge erzielt.

Seine Designphilosophie – die er „Laterales Denken mit veralteter Technologie“ nannte – bestand darin, neue Anwendungen für bereits weit verbreitete Technologien zu finden. Das einfache rote LED-Scanning-Display mit tiefschwarzem Hintergrund faszinierte Yokoi. Nintendo erlaubte ihm, damit eine tragbare, Headset-basierte Konsole zu entwickeln.

Leider führten rechtliche Bedenken hinsichtlich der elektromagnetischen Strahlung, möglicher Augenschäden oder Verletzungen beim Tragen des Geräts während eines Autounfalls dazu, dass Nintendo von der Entwicklung eines Headsets Abstand nahm. Als es zu einem Gerät mit Ständer wurde, hatte Nintendo bereits viel in die speziellen Chips investiert, die die tragbaren Fähigkeiten der Konsole ermöglichten, obwohl sie auf den Einsatz am Schreibtisch beschränkt waren.

Gleichzeitig bereitete Nintendo auch die kommende Nintendo 64-Konsole vor, die den Großteil des Forschungs- und Entwicklungsbudgets sowie die Aufmerksamkeit des Unternehmens erhielt. Yokoi wurde sogar angewiesen, Nintendos Star-Maskottchen Mario auf dem Virtual Boy weniger zu verwenden, um eine mögliche Konkurrenz zum kommenden Nintendo 64 zu vermeiden.

Warum wurde also ein so seltsames Produkt auf den Markt gebracht? Laut Nintendo-Insidern hätten Verzögerungen beim mit Spannung erwarteten Nintendo 64 das Unternehmen im Herbst 1995 ohne ein neues Produkt zurückgelassen. Die Konkurrenten Sony und Sega hatten ihre PlayStation- und Saturn-Konsolen bereits veröffentlicht.

Nintendos Abwesenheit auf dem Markt hätte dem Ruf und dem Aktienkurs geschadet. Daher wurde der Virtual Boy als Notlösung in Produktion genommen, bis der Nintendo 64 fertig war.

Trotzdem fiel die öffentliche Reaktion auf den Virtual Boy verhalten aus, und das System verkaufte sich sehr schlecht. Nintendo stellte den Verkauf in Japan nur sechs Monate nach der Markteinführung ein und zog ihn 1996 auch in anderen Regionen zurück.

Die besten Spiele: Wario Land und Jack Bros.

Obwohl der Virtual Boy ein kommerzieller Misserfolg war, bleibt er ein kühnes Experiment, bei dem etwas Neues ausprobiert wurde. Er führte auch zu neuartiger Hardware, darunter ein bequemerer Controller. Die doppelten Richtungspads und der ergonomische Griff machten das Spielen einfach, ohne auf die Hände schauen zu müssen.

Auch die Spiele waren nicht schlecht. Während seiner kurzen Lebensdauer wurden für den Virtual Boy nur 22 Spiele veröffentlicht, von denen die meisten mit recht hohem Produktionsaufwand entwickelt wurden. Wie bereits erwähnt, nutzten jedoch nur wenige den stereoskopischen Effekt der Konsole.

Die Kritiker sind sich im Allgemeinen einig, dass Virtual Boy Wario Land und Jack Bros. die beiden besten Spiele für das System sind. Red Alarm, ein fesselnder 3D-Weltraum-Shooter, gilt als die beeindruckendste technische Leistung. Das in Nordamerika beiliegende Spiel Mario Tennis ist zwar unterhaltsam für kurze Spielrunden, aber keine besonders bemerkenswerte Veröffentlichung.

Insgesamt hätte sich die dünne, aber vielversprechende Bibliothek des Virtual Boy im Laufe der Zeit deutlich weiterentwickeln können. Da es aber auf einen Tischständer beschränkt war, konnte es nie echte virtuelle Realität bieten.

Warum ist er gescheitert?

In den letzten 25 Jahren haben Kritiker zahlreiche Gründe für das Scheitern des Virtual Boy auf dem Markt genannt. Dazu gehörten (sind aber nicht beschränkt auf) das rote Display, die Kosten, die unhandliche Form (das Spielen in gebückter Haltung), das Potenzial für Kopfschmerzen und Augenbelastung sowie die unzureichende Grafikleistung.

Allerdings hatte Nintendo zuvor auch mit technisch eingeschränkter Hardware Erfolg gehabt. Der Game Boy (1989) konnte zu Beginn nur Spiele in einem verschmierten Grünstich anzeigen und hätte als Kuriosität scheitern können. Er wurde jedoch mit der Killer-App Tetris ausgeliefert, die sich schnell zu einem kulturellen Meilenstein für Mainstream-Gaming entwickelte. Es war perfekt für kurze Spiele unterwegs.

Der Virtual Boy hatte keine solche Killer-App und daher keinen wirklichen Grund, als eigenständiges Produkt zu existieren. Das beste Spiel auf dem Virtual Boy, Wario Land, hätte problemlos für jede herkömmliche 2D-Spielekonsole entwickelt werden können. Wäre der Virtual Boy mit einem herausragenden Spielerlebnis auf den Markt gekommen, hätten die Kunden vielleicht über alle Nachteile hinweggesehen und sich dem System zugewandt.

Stattdessen bleibt der Virtual Boy jedoch eine historische Kuriosität.

VR heute

Seit dem Virtual Boy hat Nintendo zweimal mit stereoskopischen 3D-Spielen experimentiert, zuerst mit dem Nintendo 3DS im Jahr 2011 und in jüngerer Zeit mit dem Nintendo Labo VR-Kit im Jahr 2019. Wie beim Virtual Boy benötigten auch hier nur wenige Spiele auf dem 3DS ein stereoskopisches Display, um richtig zu funktionieren. Tatsächlich konnten die Spieler die 3D-Funktion deaktivieren, wodurch sie zu einem gut umgesetzten Gimmick wurde, das die hochwertige Software des Systems nicht behinderte.

Das Labo VR-Kit platzierte die Nintendo Switch-Konsole in einer vom Benutzer zusammengebauten Pappkonstruktion, die ein stereoskopisches Erlebnis mit niedriger Auflösung und spielzeughaftem Charakter bietet. Es ist aber immer noch nicht „virtuelle Realität“ in dem Sinne, wie es manche Leute erwarten würden.

Andere Unternehmen wie Oculus, HTC und Valve sind in den letzten zehn Jahren mit beeindruckenden Virtual-Reality-Headsets für Endverbraucher auf den Markt gekommen. Viele halten die Oculus Quest für das erste praktische, eigenständige VR-Headset. Es bietet eine Auflösung von 1440 x 1600, im Vergleich zu 384 x 224 des Virtual Boy. Es verfügt auch über Motion-Tracking und zwei Motion-Tracking-Handcontroller.

Es hat also bis 2019 gedauert, bis ein Unternehmen das anbieten konnte, was Yokoi 1995 erreichen wollte. Wird Nintendo jemals mit einem echten VR-Headset in den Virtual-Reality-Markt einsteigen? Das wird die Zeit zeigen. Bis dahin können wir aber zurückblicken und auf die kuriose Geschichte des Virtual Boy anstoßen.