Ozean-Erwärmung: Basis der marinen Nahrungskette vor Kollaps

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Eine kritische Überarbeitung langjähriger wissenschaftlicher Annahmen deutet nun auf eine bedeutende und besorgniserregende Zukunft für das kleinste, aber häufigste Phytoplankton der Erde, *Prochlorococcus*, hin. Bislang wurde angenommen, dass es in einer sich erwärmenden Welt gedeiht, doch neue Forschungsergebnisse zeigen, dass diese mikroskopischen Organismen, die das unverzichtbare Fundament des marinen Nahrungsnetzes bilden und eine entscheidende Rolle bei der globalen Klimaregulierung spielen, bei steigenden Meerestemperaturen einen starken Rückgang erleben werden. Dieser Paradigmenwechsel im Verständnis hat tiefgreifende Auswirkungen auf die Biodiversität, die marinen Ökosysteme und die Weltwirtschaft, die von der Gesundheit der Ozeane abhängt.

Die in der Fachzeitschrift *Nature Microbiology* veröffentlichte Studie prognostiziert, dass die Populationen von *Prochlorococcus* in tropischen Ozeanen innerhalb der nächsten 75 Jahre um bis zu die Hälfte schrumpfen könnten. Dieser drastische Rückgang wird erwartet, wenn die Oberflächengewässer dauerhaft etwa 82 Grad Fahrenheit (27,8 Grad Celsius) überschreiten. Die Ergebnisse sind besonders alarmierend, da viele tropische und subtropische Meeresoberflächentemperaturen bereits über dem Durchschnitt liegen und im selben Zeitraum voraussichtlich regelmäßig 86 Grad Fahrenheit (30 Grad Celsius) überschreiten werden, was die Dringlichkeit dieser Klimaindikatoren unterstreicht.

François Ribalet, außerordentlicher Forschungsprofessor an der School of Oceanography der University of Washington und Hauptautor der Studie, betont den kritischen Status von *Prochlorococcus* als **Schlüsselart**. Diese Organismen besiedeln bis zu 75 % der sonnenbeschienenen Oberflächengewässer der Erde und produzieren durch Photosynthese etwa ein Fünftel des Sauerstoffs des Planeten. Noch wichtiger ist, dass sie die primären Umwandler von Sonnenlicht und Kohlendioxid in Nahrung an der Basis des marinen Ökosystems sind. In tropischen Ozeanen basiert fast die Hälfte der gesamten Nahrungsproduktion auf *Prochlorococcus* und unterstützt ein ausgedehntes Netz marinen Lebens. Obwohl andere Formen von Phytoplankton teilweise kompensieren könnten, warnt Ribalet, dass sie keine perfekten Ersatzstoffe sind, und hebt die einzigartigen und spezialisierten Interaktionen hervor, die sich im Laufe der Evolution entwickelt haben.

Die Robustheit dieser neuen Forschung stellt jahrzehntelange Vorhersagen, die auf begrenzten Laborkulturen basierten, direkt in Frage. Ribalet und sein Team führten über ein Jahrzehnt hinweg mehr als 100 Forschungsfahrten über den Pazifik durch, was sechs Weltumsegelungen entspricht. Mithilfe eines speziell angefertigten Geräts namens SeaFlow entnahmen sie kontinuierlich Meerwasserproben und zählten schätzungsweise 800 Milliarden einzelne Zellen in Echtzeit. Paul Berube, Forschungswissenschaftler am Massachusetts Institute of Technology, bezeichnete die Breite dieser Daten als „bahnbrechend“ und merkte an, dass die Ergebnisse mit den bekannten Eigenschaften des optimierten Genoms des Mikroben übereinstimmen, das seine Anpassungsfähigkeit an schnelle Umweltveränderungen begrenzt.

Die ökologischen und wirtschaftlichen Folgen solcher Rückgänge sind erheblich. Wie Berube prägnant feststellt: „Sie stehen ganz am Anfang der Nahrungskette und ernähren alles andere – die Fische fressen das, was das Phytoplankton frisst, und wir fressen die Fische.“ Veränderungen auf dieser grundlegenden Ebene werden daher „große Konsequenzen“ für die marine Biodiversität und die globalen Fischereien haben. Selbst Modelle hypothetischer hitzetoleranter *Prochlorococcus*-Stämme deuteten darauf hin, dass sie nicht ausreichen würden, um den wärmsten prognostizierten Temperaturen vollständig standzuhalten, wenn die Treibhausgasemissionen weiter steigen. Ribalet betonte, dass die Prognosen der Studie konservativ seien und andere Umweltstressoren wie Plastikverschmutzung bewusst ausschließen, was bedeutet, dass die tatsächlichen Ergebnisse noch gravierender sein könnten.

Steven Biller, außerordentlicher Professor am Wellesley College, beschrieb die prognostizierten Rückgänge als „beängstigend, aber plausibel“ und unterstrich die entscheidende, wenn auch oft übersehene Rolle dieser „unsichtbaren Wälder“ des Ozeans für das menschliche Überleben. Der wissenschaftliche Konsens bleibt klar: Die Bekämpfung der globalen Erwärmung durch eine deutliche Reduzierung der Treibhausgasemissionen ist von größter Bedeutung. Ribalet hofft, dass diese Ergebnisse mehr Aufmerksamkeit auf die tropischen Ozeane lenken werden, die seiner Meinung nach als natürliche Laboratorien zum Verständnis von Erwärmungsanpassungen und als Frühwarnsignale für eine breitere ökologische Instabilität dienen könnten.