Neue Studie: Kinder lösen Probleme systematischer als gedacht

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Neue Forschungsergebnisse stellen langjährige Annahmen über die kognitive Entwicklung im frühen Kindesalter in Frage und deuten darauf hin, dass kleine Kinder eine größere Fähigkeit zur systematischen Problemlösung besitzen, als bisher angenommen. Diese Erkenntnis stammt aus einer neuartigen Studie, die die Fähigkeit von Kindern untersuchte, komplexe logische Strategien zu entdecken und anzuwenden, selbst wenn sie mit abstrakten Herausforderungen konfrontiert sind.

Jahrzehntelang hielt sich die Entwicklungspsychologie weitgehend an die Theorien von Jean Piaget, der davon ausging, dass Kinder verschiedene Entwicklungsstadien durchlaufen, wobei das formale logische Denken erst deutlich später im Kindesalter auftritt. Piagets Beobachtungen, insbesondere bezüglich „Seriationsaufgaben“, bei denen Kinder gebeten werden, Objekte nach einer quantitativen Dimension wie der Länge zu ordnen, deuteten darauf hin, dass kleine Kinder eher auf rudimentäre Versuche und Irrtümer als auf systematische Ansätze zurückgreifen. Dies wurde als grundlegende Einschränkung ihrer Problemlösungsfähigkeiten vor dem siebten Lebensjahr interpretiert, wenn sie angeblich in die „konkret-operationale Phase“ eintraten.

Eine kürzlich in *Nature Human Behaviour* veröffentlichte Studie liefert jedoch überzeugende Gegenbeweise. Die Forscher fanden heraus, dass junge Kinder, wenn die kognitiven Anforderungen einer Seriationsaufgabe erhöht wurden, insbesondere durch das Verbergen der zu ordnenden Elemente, dazu angeregt wurden, ausgeklügelte algorithmische Lösungen zu entdecken und zu implementieren. Dies deutet darauf hin, dass die scheinbare Abhängigkeit von weniger strukturierten Methoden in früheren Beobachtungen weniger auf einer angeborenen Unfähigkeit als vielmehr auf situativer Präferenz oder Gelegenheit beruhen könnte.

Das experimentelle Design umfasste ein Computerspiel, bei dem Kinder die Aufgabe hatten, versteckte „kaninchenähnliche Kreaturen“ nach Größe zu ordnen. Im Gegensatz zu Piagets Aufgabe mit sichtbaren Objekten konnten die Teilnehmer die richtige Reihenfolge nur durch Beobachtung von Rückmeldungen ableiten, wenn sie versuchten, benachbarte Kreaturen zu vertauschen. Wenn die Kreaturen in der richtigen Reihenfolge waren, blieben sie an Ort und Stelle; anderenfalls tauschten sie ihre Positionen. Dieses Setup erforderte logische Schlussfolgerungen anstelle direkter visueller Wahrnehmung. Die Studie, durchgeführt von Huiwen Alex Yang und Kollegen, testete 123 Kinder im Alter von vier bis zehn Jahren.

Bemerkenswerterweise zeigte über die Hälfte der Kinder, darunter auch einige so junge wie vier Jahre, die spontane Anwendung von mindestens zwei etablierten Sortieralgorithmen: Selection Sort und Shaker Sort. Diese Strategien werden typischerweise in der Informatik untersucht. Während ältere Kinder diese Methoden eher anwandten, steht die Präsenz solch strukturierten Denkens bei Vierjährigen im direkten Gegensatz zu Piagets Behauptung, dass systematische Strategiebildung vor dem siebten Lebensjahr nicht möglich sei.

Diese Ergebnisse implizieren, dass das Potenzial von Kindern zur Entdeckung logischer Strategien früher aktiviert wird, wenn die Umweltbedingungen dies erfordern. Die Unfähigkeit, sich auf direkte Beobachtung zu verlassen, zwang die Teilnehmer im experimentellen Aufbau, systematische Ansätze zu entwickeln. Dies deutet auf ein nuancierteres Verständnis von Piagets ursprünglichen Beobachtungen hin, bei denen Kinder möglicherweise auf weniger strukturierte Methoden zurückgreifen, aber zu systematischeren Lösungen fähig sind, wenn die Notwendigkeit dies diktiert.

Die Implikationen dieser Forschung reichen über die Entwicklungspsychologie hinaus, insbesondere für die MINT-Bildung. Algorithmisches Denken ist grundlegend für viele wissenschaftliche und mathematische Disziplinen und unerlässlich für effizientes Problemlösen im Alltag. Die Studie zeigt, dass die Gehirne von Kindern viel früher als bisher angenommen für abstrakte Probleme und strukturiertes Denken empfänglich sind, sogar vor dem formalen Unterricht. Pädagogen und Betreuer können daher erwägen, abstraktere Problemlösungsangebote früher einzuführen, um stärkere mathematische und computerbezogene Fähigkeiten zu fördern. Diese Erkenntnis ermutigt auch zu einem geduldigeren und verständnisvolleren Ansatz bei der Beobachtung der Interaktionen von Kindern mit ihrer Umwelt, da scheinbar ungeordnete Erkundung ein wichtiger Teil ihres Wissenskonstruktionsprozesses ist.