Eine erhebliche Divergenz in der strategischen Ausrichtung der europäischen KI-Entwicklung ist zutage getreten, exemplarisch verdeutlicht durch die jüngste Kritik von SAP-CEO Christian Klein an Nvidias Betonung großflächiger Infrastrukturen. Klein stellt die Auffassung in Frage, dass Europa den USA oder China nacheifern müsse, indem es massiv in riesige Rechenzentren und Hochleistungschips investiert, um eine führende Rolle in der KI zu erlangen. Stattdessen plädiert er für einen softwarezentrierten, anwendungsorientierten Ansatz, der die robuste industrielle Basis des Kontinents nutzt.
Nvidias Infrastruktur-Imperativ für Europa
Diese Perspektive steht in scharfem Kontrast zu der Vision, die Nvidia-CEO Jensen Huang während seiner jüngsten Europatournee formulierte. Huang, dessen Unternehmen den Markt für KI-Chips dominiert, behauptete öffentlich, dass Europa aufgrund unzureichender Rechenleistung Gefahr laufe, im globalen KI-Wettlauf zurückzufallen. Er hat aktiv Partnerschaften gefördert, die darauf abzielen, eine umfassendere KI-Infrastruktur auf dem Kontinent aufzubauen, alles basierend auf Nvidias Technologie. Huangs Aufruf drängte die europäischen Staats- und Regierungschefs, erhebliche Investitionen in verschiedenen Sektoren zu tätigen, die das Ausmaß der Datenverarbeitungsleistung großer US-Technologieunternehmen widerspiegeln.
SAPs strategische Neuausrichtung auf angewandte KI
Christian Klein hingegen verwirft diese Hardware-zentrierte Strategie als potenziell fehlgeleitet für Europa. Von der SAP-Zentrale in Walldorf aus stellte Klein die Notwendigkeit in Frage, zahlreiche massive Rechenzentren zu errichten, um im KI-Bereich effektiv mithalten zu können. Er vertrat die Ansicht, dass Europas eigentliche Stärke nicht in der reinen Rechenkapazität liegt, sondern in seiner tiefgreifenden industriellen Expertise in Sektoren wie der Automobilindustrie, dem verarbeitenden Gewerbe, der Chemie und dem Maschinenbau. Klein argumentiert, dass eine erfolgreiche KI-Integration für Europa auf der Entwicklung intelligenter, branchenspezifischer Anwendungen beruht, anstatt sich in einen kapitalintensiven Wettlauf um Rechenleistung zu begeben.
Diese Haltung markiert einen bemerkenswerten Wandel in der KI-Strategie von SAP selbst. Noch vor sechs Monaten hatte Klein die Entwicklung eigener europäischer KI-„Gigafactories“ – großangelegter Einrichtungen zum Training und Skalieren von KI-Modellen – befürwortet und sogar die US-geführte „Stargate“-Initiative als potenzielles Modell genannt. SAP hatte Gespräche mit anderen deutschen Unternehmen über gemeinsame Investitionen in solche EU-gestützten Projekte geführt. Diese Gespräche lösten sich jedoch letztlich aufgrund von „unterschiedlichen Visionen und einer kurzfristigen Sichtweise“ auf, wie Thomas Saueressig, Head of Customer Services and Delivery bei SAP, bemerkte. SAP hat nun klargestellt, dass es kein Interesse mehr an einer operativen oder investiven Beteiligung an diesen Megaprojekten hat. Stattdessen will das Unternehmen als Technologie- und Softwareanbieter beitragen, indem es Werkzeuge, Plattformen und anpassbare KI-Anwendungen für diejenigen bereitstellt, die die zugrundeliegende Infrastruktur aufbauen. Dieser Schwenk unterstreicht eine wachsende Skepsis unter einigen europäischen Industrieführern hinsichtlich der direkten Nachahmung des amerikanischen Modells der KI-Vorherrschaft, selbst wenn die Europäische Union 20 Milliarden Euro (23 Milliarden US-Dollar) für die Einrichtung von fünf KI-Gigafactories zugesagt hat.
Open Source für Innovation und Effizienz nutzen
Kleins geänderte Strategie wird zusätzlich dadurch gestützt, dass er Bedenken hinsichtlich des langfristigen Wertes einer ausschließlichen Konzentration auf das Training riesiger proprietärer KI-Modelle geäußert hat. Er beobachtet einen wachsenden Trend zu kostengünstigeren Open-Source-Alternativen. Als Beispiel nannte Klein das chinesische Unternehmen DeepSeek, das Anerkennung dafür fand, führende US-KI-Unternehmen mit einem Modell zu übertreffen, das mit Open-Source-Code zu deutlich geringeren Kosten entwickelt wurde. Dieses Beispiel, so Klein, zeige, dass effektive KI-Lösungen weder unbegrenzte Rechenleistung noch Milliarden-Dollar-Budgets erforderten. Er betonte die Bedeutung intelligenter, schlanker Modelle, die marktrelevant sind und in realen Geschäftsumgebungen robust funktionieren, und stellte die These auf, dass die Ära der monolithischen KI-Infrastruktur möglicherweise zu Ende gehe.
KI in Unternehmensabläufe integrieren
Im Einklang mit dieser überarbeiteten Perspektive ist es SAPs Kernpriorität, KI-Funktionen direkt in seine Unternehmenssoftware-Systeme einzubetten. Klein hat das Potenzial für KI-gestützte Arbeitsabläufe in der Logistik, vorausschauende Wartung für Fabrikanlagen, intelligente Kundendienst-Bots und Echtzeit-Entscheidungs-Dashboards für Supply-Chain-Manager hervorgehoben. Dieser anwendungsgesteuerte Ansatz bringt SAPs KI-Strategie mit Europas traditionellen industriellen Stärken in Einklang, indem er sich auf die praktische Implementierung und Wertschöpfung in etablierten Sektoren konzentriert, anstatt eine direkte Konkurrenz in der reinen Rechenleistung anzustreben.