Neue technische Errungenschaften sind oft kostspielig, nicht immer von praktischem Nutzen und gelegentlich fehlerbehaftet. Diese Beschreibung charakterisiert das Erlebnis mit Technologie der ersten Generation treffend. Es handelt sich hierbei nicht um bloße „Käuferreue“, sondern um den sogenannten „Frühanwender-Schmerz“.
Dieser Schmerz, den Pioniere der Technik erfahren, ist schwer in Worte zu fassen, jedoch ist er eine treibende Kraft für technologischen und gesellschaftlichen Fortschritt. Er lässt sich mit dem Gefühl nach einem intensiven Lauf vergleichen, gemischt mit dem Nervenkitzel eines Glücksspiels. Wie beim Glücksspiel ist auch dieser Schmerz nicht ohne finanzielle Risiken.
Doch was macht jemanden zu einem Vorreiter und warum ist dieser Schmerz für die Weiterentwicklung so essenziell?
Die fünf Stufen der Technologieakzeptanz
Eine einfache Online-Recherche zum Thema „Early Adopters“ verdeutlicht ihre Wichtigkeit für Unternehmen. Sie sind oft entscheidend für den Markterfolg eines Produkts. Laut Everett Rogers, Kommunikationswissenschaftler an der University of New Mexico, durchläuft die Akzeptanz von Technologie fünf Phasen, die sich in einer Glockenkurve darstellen lassen. In seinem Buch „Diffusion of Innovations“ erklärt Rogers, dass die frühen Anwender die erste und bedeutsamste Phase im Produktlebenszyklus einnehmen, auch wenn ihr Marktanteil relativ gering ist.
Gemäß Rogers‘ Modell sind Innovatoren die ersten Investoren in ein neues Produkt, obwohl sie den kleinsten Marktanteil ausmachen. Diese Gruppe verfügt meist über hohe finanzielle Mittel und ist bereit, auch in unausgereifte oder zum Scheitern verurteilte Produkte zu investieren. Allerdings haben Innovatoren wenig Einfluss auf die breite Masse. Es sind die Wohlhabenden, die unkonventionelle Ideen rasch aufgreifen.
Verbrauchergruppen, die neue Technologien annehmen (blau), Marktanteil (gelb)
Die zweite Phase, die der frühen Anwender, ist besonders relevant. Diese Gruppe besteht laut Rogers aus jungen, trendbewussten und wohlhabenden Personen. Im Technologiebereich sind das häufig Journalisten oder YouTuber, die einen erheblichen Einfluss auf die Durchschnittsverbraucher haben und oft erste Anlaufstelle für Informationen über neue Produkte sind.
Um ihre Glaubwürdigkeit zu wahren, müssen frühe Anwender neuen Produkten kritisch gegenüberstehen. Würde ein bekannter Technik-YouTuber ein unausgereiftes Produkt enthusiastisch loben, würde das seine Glaubwürdigkeit untergraben. Daher sind Hersteller bestrebt, Produkte luxuriös zu präsentieren und das Potenzial hervorzuheben, dabei berücksichtigen sie oft auch das Feedback der frühen Anwender.
Sobald ein Produkt die frühe oder späte Mehrheit erreicht, gilt es als erfolgreich. Dies zeigt an, dass durchschnittliche Verbraucher das Produkt akzeptiert haben und es sich voraussichtlich in der Gesellschaft etablieren wird. In dieser Phase werden Produkte oft als „benutzerfreundlich“ oder „universell“ vermarktet. Desktop-Computer sind ein gutes Beispiel. Als sie massentauglich wurden, entwickelten Unternehmen Tools wie Computermaus und intuitive Benutzeroberflächen, um sie attraktiver zu machen.
Nachzügler sind die letzte Gruppe, die ein Produkt annimmt. Sie machen einen kleinen Marktanteil aus und umfassen oft ältere oder weniger technikaffine Personen. Unternehmen (wie Smartphone-Hersteller) richten ihre Produkte oft erst in dieser Phase gezielt an diese Gruppe.
Jeder von uns hat schon „Frühanwender-Schmerz“ erlebt
Wir wissen nun, wer frühe Anwender sind. Aber was bedeutet der „Frühanwender-Schmerz“? Im Wesentlichen sind es die Unannehmlichkeiten und Probleme, die bei der Verwendung eines Produkts in der Anfangsphase auftreten. Auch wenn man kein Technik-Enthusiast ist, hat man diesen Schmerz wahrscheinlich schon erlebt, sei es bei Fernsehserien, Musik, Büchern, Autos oder Schuhen. Plattformen wie Kickstarter haben den frühen Einstieg in neue Produkte zudem erschwinglicher und zugänglicher gemacht.
Wahrscheinlich hat jeder schon ein Produkt (oder einen Künstler) unterstützt, das oder der Mängel aufwies, aber dessen Potenzial man erkannt hat. Man war bereit, Aufwand zu betreiben, hat Rückschläge und Enttäuschungen in Kauf genommen. Wenn sich jedoch das Potenzial eines Produkts bewährt, wird es oft von der Masse angenommen.
Nicht jedes Produkt wird von der Mehrheit angenommen. Manchmal entfaltet sich das Potenzial eines Produkts nicht oder es bleibt eine Nischenlösung. Empfiehlt man ein neues Produkt, geht man ein Risiko ein, besonders wenn man dafür bezahlt. Das ist der Fluch des Frühanwender-Schmerzes: es funktioniert nicht immer.
Ein weiterer interessanter Aspekt ist, dass man manchmal ein großes Potenzial in einem Produkt sieht und von dessen zukünftiger Nutzung träumt. Doch dann wird es aus unerwarteten Gründen erfolgreich, was die ursprüngliche Vision einschränkt. Das kann passieren, wenn ein Künstler „ausverkauft“, also seine Prinzipien für den Massenmarkt aufgibt. Ähnliches passiert in der Technik. Stellen Sie sich vor, Smartphones würden zu Kinderspielzeugen degradiert, während Erwachsene bei Klapphandys bleiben. Man weiß nie, was kommt.
Das iPad oder die Apple Watch als Beispiele
Apple ist ein gutes Beispiel für den „Frühanwender-Schmerz“. Das liegt nicht an der Qualität der Produkte (die hervorragend ist), sondern an Apples Innovationsdrang. Käufer der ersten Generation eines neuen Apple-Produkts müssen diesen Schmerz oft durchleiden. Die Produkte können teuer, funktionsarm und fehlerhaft sein.
Das iPad der ersten Generation war nicht perfekt. Es hatte keine Kameras, kein Multitasking und kaum Apps für Unternehmen oder Gamer. Nutzer berichteten von Überhitzung und Fehlern, die Apps und Menüs unzugänglich machten.
Im Grunde war das erste iPad ein großer, luxuriöser iPod touch, der hauptsächlich zum Surfen und Streamen genutzt wurde. Aber frühe Anwender sahen sein Potenzial und heute gibt es weltweit mehr als eine Milliarde Tablet-Nutzer.
Ein weiteres Beispiel ist die Apple Watch. Die erste Version war im Grunde eine Uhr, die bei Anrufen oder Nachrichten vibrierte. Doch frühe Anwender liebten das Produkt und sahen Potenzial. Heute vermarktet Apple die Apple Watch Series 4 als Gesundheits- und Fitness-Wearable, das sogar ein EKG durchführen kann.
Manchmal überleben Produkte die Anfangsphase nicht
Frühe Anwender sind wichtig, um Produkte bekannt zu machen und Hersteller zu Innovationen zu inspirieren. Sie helfen aber auch, unausgereifte Produkte zu verwerfen.
Erinnern Sie sich an Google Glass? Frühe Anwender sahen Potenzial in der Datenbrille, aber schnell wurde klar, dass sie zu seltsam, teuer und unterentwickelt war, um ein Massenprodukt zu werden.
Man könnte sagen, Google Glass wurde zum Gespött der Smart-Tech-Szene, bevor es die Frühanwenderphase überwinden konnte. Aber es wird jetzt in Nischenanwendungen in Lagern und Fabriken eingesetzt. Das zeigt, dass ein Produkt manchmal einen speziellen Zweck benötigt, bevor es sich im Alltag durchsetzt.
Faltbare Telefone als aktuelle Herausforderung
Bei Samsungs „revolutionärem“ faltbarem Telefon ist Skepsis angebracht. Man muss es nicht sofort kaufen und die meisten können es sich ohnehin nicht leisten. Der Preis von 1800 Dollar richtet sich an Innovatoren und frühe Anwender.
Diese Testkäufer interessieren sich für Innovation (oder Statussymbole) und testen den Markt für faltbare Telefone. Sie zeigen Herstellern das Potenzial und treiben so die Entwicklung in diesem neuen Markt voran. Und sie nehmen den Frühanwender-Schmerz in Kauf. Sollten die Geräte schnell kaputtgehen oder unbrauchbar sein, müssen sich andere nicht ärgern.
Was mit iPads und Apple Watches passiert ist, wird (hoffentlich) auch mit faltbaren Telefonen geschehen. Sie werden anfangs klobig, teuer und nicht ganz nutzlos sein, aber allmählich nützlicher werden und den Weg in die Hände der Durchschnittsverbraucher finden.
Quellen: BEME-Neuigkeiten, Über digitales Marketing